Donnerstag, 18. September 2008

Kann mal jemand das Licht anmachen?

Der Moment, in dem du von völliger Dunkelheit umgeben bist, und dich nicht traust aufzustehen, weil du Angst hast, in der Finsternis über irgendetwas zu fallen, ist auch der Moment, in dem dir bewusst werden muss, dass nur Du allein da bist, um den Schalter umzulegen.

Mittwoch, 17. September 2008

Das Messer

Mit einem Fleischermesser durchtrennte ich seinen Oberkörper, dann stieß ich diesen mit den Händen von der Mitte aus auseinander, blickte auf seine Eingeweide und riss ihm schließlich sein Herz aus dem Leib. Es war warm und glitschig, blutbesudelt, und die Arterien hingen noch an ihm wie Haare am Kopf einer Puppe. Ich aß es, stopfte mir es in den Mund, riss es mit Händen und Zähnen auseinander und labte mich an dieser verbotenen Frucht. Dann schlief ich ein.

Ich erwachte neben seinem Leichnam, schreckte hoch, denn ich hörte eine Stimme, die unaufhörlich rief: "das Messer, das Messer". Penetrant und böse war sie, und ihre Quelle konnte ich nicht orten. Sie war wohl in mir, hatte sich in mein Hirn gefressen, so wie ich sein Herz in meinen Magen, mein Innerstes, aufgenommen hatte. Ich verließ die Wohnung, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, mit den schnellsten Schritten, die wahrscheinlich jemals ein Mensch zurückgelegt hat. Dann rannte ich blutverschmiert durch das Treppenhaus ins Freie. Und immer diese Stimme in mir und um mich herum, die immer noch rief: "das Messer, das Messer". Allein das Verlangen nach Erlösung beherrschte mein Tun, und nur wenn ich zu ihr gelangte, würde ich diese vielleicht erreichen. Also rannte zu ihr so, als ob ich verfolgt würde, über Strassen voller Autos, durch Gassen voller Menschen, die mich anzublicken schienen wie den Überbringer einer tödlichen Seuche, eine Ratte, die nur ja nicht in ihre Nähe kommen sollte. Aber ich war ja auch mit dem Blut eines Mordes besudelt, eines Mordes! Und immer diese Stimme: "das Messer, das Messer". Der Weg zu ihr, der eigentlich in ungefähr fünf Minuten zu bewältigen ist, war nun wie ein unendlich langer Pilgermarsch in eine ferne Heilstätte. "Das Messer, das Messer"…

Als ich dann endlich angekommen war, drückte ich die Klingel und einer der Posaunen Jerichos gleich bewirkte diese das Fallen von Mauern, denn es öffnete sich die Tür. Dann blickte ich in ihre Augen, Augen voller Schönheit, ein visuelles Pendant zu dem bezirzenden Gesang einer Sirene, und als sie mich recht gewöhnlich begrüßte, also nicht unfreundlich aber auch nicht jubilierend, war es, als spräche Gott zu mir, doch schien ihre Stimme in der anderen unterzugehen…"das Messer, das Messer"… Ich erwiderte ihren Gruß, trat ein und ging direkt ins Bad, denn ich wollte erst einmal das ganze Blut abwaschen. Dies gelang mir aber nicht, denn egal wie vehement ich schrubbte, ich blieb besudelt, und diese Stimme; konnte sie nicht schweigen? "Das Messer, das Messer"…So ging ich also immer noch besudelt ins Wohnzimmer, setzte mich zu ihr und rauchte die Zigarette, die sie mir angeboten hatte, während ich schwieg…"das Messer, das Messer"…Sie brach das Schweigen, indem sie fragte, was mir denn auf dem Herzen liege. "Der zu riesigen Felsbrocken verarbeitete Mount Everest" entgegnete ich und erzählte dann, was sich ereignet hatte.

Als ich alles erzählt und dabei versucht hatte, die Stimme zu ignorieren, fragte sie, warum ich denn dann nicht mit Blut besudelt sei und es bei meiner Ankunft auch nicht gewesen bin. Dies wühlte mich auf wie ein Tornado, und ich wurde zu dessen Auge, denn ich sah mich nach wie vor mit Mordblut befleckt, aber merkwürdigerweise nicht mehr in solchem Maße wie zuvor, und auch die Stimme war leiser aber immer noch präsent…"das Messer, das Messer"…So wurde mir aber bewusst, warum mich niemand auf der Straße auf mein Aussehen hin angesprochen hatte, denn für andere gab es wohl nichts zu sehen. Aber wenn da nichts war, was war dann mit ihm…"das Messer, das Messer"…

Ich packte sie und rannte mit ihr aus der Wohnung, um ihr den Tatort zu zeigen. Der Weg glich wieder einer Odyssee, voller Qual und unendlich lang. Was mich jedoch erstaunen ließ, war die Tatsache, dass ich sauberer, und die Stimme leiser wurde, je näher ich der Wohnung kam. Endlich waren wir dann in Ithaka, also am Tatort angekommen, dort, wo alles begonnen hatte. Und immer noch die Stimme: "das Messer, das Messer"; zwar nur noch ein Flüstern, aber dennoch eine Höllenqual. Nachdem wir die Wohnung betreten hatten, führte ich sie in den Raum mit der Leiche. Was ich dann sah, war einfach jenseits aller mit Worten zu beschreibenden Schrecken. Dieser verstümmelte, tote Leib, der in einer Lache aus Blut und Gedärmen lag, hatte mein Gesicht! Als ich dann in ihr Gesicht blickte, war es auch das Meine! Ich sah an mir herunter und war auf einmal rein, kein einziger Tropfen Blut war zu sehen…"das Messer, das Messer"…

Ich schreckte hoch: ich saß auf einem Stuhl, hielt das Messer in der Hand und hatte seine Schneide über meinen Pulsadern angesetzt. Ich blickte verdutzt, legte es beiseite, stand auf, und ging hinaus,…

…wohl wissend, dass ich die Person, die ich nie mehr sein wollte, gerade getötet hatte.